Sprache, Macht und Zugehörigkeit — warum ich künftig auf Englisch schreibe

✦ Am Herdfeuer · Kreiert auf Deutsch ✦

Ich habe lange durchgehalten.

Aber wenn du das hier liest, bist du eine von vielleicht fünfzig Frauen, die das jemals lesen werden. Exklusivität ist schön – aber auf Deutsch zu bloggen, ist wie eine private Dinnerparty.

Hier kommen fünf Gründe, von romantisch bis anti-imperial, warum ich das in Zukunft ändern werde.

Und am Ende ein sechster, der der eigentliche ist.

Erstens: die romantische Erklärung.

Deutsch ist meine Muttersprache.

Die Sprache von Rilke und Tucholsky – verträumt, leise unbeholfen, etwas starr, aber richtig benutzt: von zarter Poesie und scharfem Witz.

Dennoch spreche ich privat kaum noch Deutsch. In Familie und Freundeskreis verwenden wir meist eine Mischung aus mehreren Sprachen, je nach Laune, und erfinden gerne neue Wörter.

Polyglott zu leben, ist sehr vergnüglich und öffnet das Herz.

Die gleiche sprachliche Beweglichkeit würde mir auch online gefallen – aber Google liebt Eindeutigkeit, nicht Fluidität.

Zweitens: die psychologische Erklärung.

Deutsch ist eine nahezu autistische Struktur. Es erschließt sich langsam und erfordert genaues Hinhören. Dies ist wunderbar für tiefe, lange Analysen – aber schwerfällig im Rhythmus des Internets.

Das Deutsche neigt zur Verschlossenheit. Die Menschen oft ebenso. Sie teilen ungern, wenn sie etwas begeistert. Ich will nicht direkt sagen, sie seien geizig. Aber das passende Adjektiv fällt mir nicht ein.

Wer meine Bücher liest, empfiehlt sie selten weiter.

Wie oft habe ich gehört, mit einem verlegenen Grinsen:
„Ich wollte, dass Abalone mein persönliches Buch bleibt.“

Genauso oft heißt es:
”Ich will, dass
Inanna mein Geheimnis bleibt.”

Jahre früher hieß es oft: “Ich wollte einfach nicht, dass Sie immer ausgebucht sind. Sie sollten meine Ärztin bleiben.”

Mal ganz ehrlich: Das ist nicht cool sondern lame.

Drittens: die strategische Erklärung.

Der deutschsprachige Raum ist klein, und meine Nische noch kleiner.

Meine Leserinnen – ich nenne diese wunderschönen, wilden und inspirierenden Seelen übrigens: “meine Eleanors” – sind gebildet, international und eher ungeduldig mit Provinzialität.
Viele von ihnen surfen längst auf Englisch, weil dort der Diskurs stattfindet.
Das heißt, selbst deutsche Frauen finden mich nicht unbedingt, wenn ich ausschließlich Deutsch schreibe.

Deutsch wirkt zunehmend wie ein Gewächshaus: warm, aber abgeschlossen. Ausschließend.

Viertens: die traurige Erklärung.

Deutsch als Kultursprache wird zunehmends ausgehungert.

Die großen Verlage gehören internationalen Konzernen, für die Deutsch ein Nebendialekt ist. Man setzt auf sichere Rendite und übersetzt erfolgreiche englische Bücher, als neue deutschsprachige Stimmen zu fördern.
Die Zeiten, in denen deutsche Verläge noch internationale Bestseller entdeckten, sind lange vorbei.

Wer meine Bücher im Buchhandel sucht, braucht martialische Entschlossenheit – und legt am Besten zusätzlich die ISBN vor wie eine amtliche Bezugsgenehmigung.

Fünftens: die imperiale Erklärung.

Englisch ist die Sprache des Imperiums – so wie einst Latein.

Das Römische Reich war längst verfallen, doch niemand hätte in den ehemaligen Provinzen Bücher im Heimatdialekt geschrieben. Bis heute lernen viele Kinder in den Schulen Latein.

Das anglo-amerikanische Imperium mag wanken, aber seine Sprache ist fest in unser kollektives Bewusstsein eingraviert:

Programmiersprachen, Betriebssysteme, Filme, Musik, Flughäfen, Gebrauchsanweisungen – alles Englisch. Wir dürfen damit rechnen, dass auch Englisch sich noch lange halten wird.

Wer kein Englisch spricht, existiert nur am Rand dieser Welt, wie einst die „Barbaren“ und “Paganen” der Antike, die in der Peripherie lebten, in Dörfern und entfernten Provinzen, und zwar Tribut bezahlen mussten, aber verachtet wurden, weil sie wenig Latein verstanden.


Ich habe viele Jahre lang Chinesisch studiert, lerne Arabisch, und schreibe meine Bücher weiterhin im Dialekt meines Herzens. Ich verneige mich definitiv nicht vor dem Imperium, aber ich kann seine Reichweite nicht leugnen.

Bilingual zu denken und zu schreiben ist kaum noch eine Entscheidung – es ist das Minimum, um in der Welt zu agieren.

Und sechstens: der wahre Grund.

Abalone, Schlangengöttin und Tigergesicht, spricht inzwischen auch Englisch.

Es wird Zeit, dass die Welt sie hört.

Zum Schluss.

Dieser Blog wird in Zukunft in großen Teilen auf Englisch geschrieben werden und, bedingt durch den Kontext und Rhythmus der Sprache, einen anderen Stil haben.
Ich werde dies nicht übersetzen.

Aber ich werde weiterhin in deutscher Sprache schreiben – dort, wo die Gespräche tiefer und persönlicher werden dürfen.
Diese intimeren deutschen Gespräche werde ich “Inanna Notes” nennen
Auch dies hier ist eine Art Inanna Note.

Die Essays auf Englisch bilden den äußeren Kreis, die deutschen Texte das innere Feuer.

Beides gehört zusammen.

Christine Li Author

Creating Mythic Fiction & Feminine Initiation.

Christine Li traces the forgotten currents where ancient medicine and feminine myth become remembrance. In her Abalone Cycle about a Chinese healer, she restores the sacred dialogue between body, story, and soul.

http://christine-li.com
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